Notizen & kleine Essays
Einige ziemlich uninformierte und daher eher vorläufige Bemerkungen zur Sache Neo Rauch vs. Wolfgang Ullrich. Season’s Greetings
Ende Dezember 2020
Ein heiterer Mensch wie ich, denkt zuerst an ein kleines Komplott im Stil von Kir Royal. Maler und Kritiker treffen sich vielleicht bei einem Verleger zum Abendessen oder bei einer Galeriefeier, man spricht über Macht und Ideen von Spin Doctors und PR-Agenturen, über das alternde Model, das einen gealterten Boygrouppunk heiratet, den diskret schwulen Hollywoodstar mit einem überwiegend weiblichen Publikum, der sich unter öffentlichem Beifall einer engagierten Charity-Lady verbindet und dass diese kleinen Allianzen doch überraschend gut funktionieren, auf dem Markt der Aufmerksamkeit.
Und man erinnert sich vielleicht gemeinsam - was war das 1887 für ein glanzvoller Erfolg, für ein medialer Triumph für alle Beteiligten, als der Kritiker John Ruskin in der Zeitschrift Times dem Maler Whistler eine Technik seines Lieblingsmalers Turner zuschrieb (ohne sich dessen bewusst zu sein), nämlich Farbe über die Leinwand zu kippen und sich vom Zufall inspirieren zu lassen, was metaphorisch zu »flinging a pot of paint in the public’s face.« wurde. Dann der ganz wunderbar laute Gerichtsprozess vor Old Bailey's mit seinem Feuerwerk von Aphorismen, der beleidigte Maler hatte den Kritiker wegen seiner nun ja, Kritik verklagt. »Absolute rubbish« hatte Ruskin Whistler's Werk genannt.
Der Winzersekt aus dem Saaletal! Champagnerlaune! Kurzum, man kommt überein, sich einen Spass zum gegenseitigen Nutzen zu machen. So oder ähnlich könnte das Drehbuch zur Komödie verfasst sein. Jedenfalls entdeckt der Kritiker eines Tages in einem Aufsatz in der Zeit auf den Bildern des Künstlers »Strukturen rechten Denkens«. Und das bei einem Maler, der schon Hakenkreuze auf Bilder malen könnte und sich ein Chaplin-Bärtchen wachsen lassen könnte, und bei dem ich selbst dann beim besten Willen keine Eindeutigkeit in politischen Strukturen oder Tendenzen, es sei denn der von altmodischen Silben-Bilder-Rätseln auf den Leinwänden ausmachen könnte. Denn das überwiegend Absurde, das Inhaltslos-Vieldeutige, das Auslegbare in großer Portion, war und ist eine Voraussetzung, um in der Kunstwelt global zu reüssieren, schon alleine damit sich wirklich alle über den künstlerischen Wert einig sein können.Jetzt antwortet der entrüstete, ja beleidigt posierende Maler auf den Artikel mit einem Gemälde in der Art des jungen, des noch ganz leidenschaftlichen Jan Böhmermann, bei dessen Herstellung - ich stelle mir das vor - von Assistentinnen und Assistenten und der ganzen Entourage im düster-hellen Neon-Atelier ganz, ganz herzlich gelacht und gratuliert wurde.
Es zeigt einen Menschen beim Kacken, der mit seiner eigenen Scheisse malt. W.U. steht etwas rätselhaft dazu da (wie Wolfgang Ullrich oder Walter Ulbricht oder weiter unten) und es heisst: Der Anbräuner. Die Zeit hat es großformatig abgedruckt. Denn jetzt, das Geld ist auf der Bank, die Bilder in den Sammlungen untergebracht, kann der Künstler es sich leisten im Rahmen Farbe zu bekennen - entschuldigen Sie den Kalauer. So etwas würde Wolfgang Ullrich nicht aus der Feder entgleiten, denn er ist ein grundernster Mensch, mehr noch, ein ernsthafter Mensch, und er weiß darum und man muss sagen, er macht das beste daraus, in dem er sich liebevoll mit Marginalia von Kunst und Kultur beschäftigt und es versteht, Wirkung und Wichtigkeit des manchmal Unseriösen und Unbeachteten klug und unterhaltsam sichtbar zu machen. Alternierend schreibt er große Entwürfe, in denen er als eine Art protestantischer Pop-Philosoph den Kunstmarkt in gesellschaftlichen Zusammenhängen betrachtet. In einer Publikation als Replik auf das Bild versucht er zu verstehen was vorgegangen ist, politisch und kultursoziologisch das größere Bild zu sehen, und schreibt ein differenziertes und sehr ausgewogenes Buch, wenn man den Kommentaren glauben darf, ich habe es noch nicht gelesen. Die Antwort des Künstlers steht aus. Sie wäre zum einen schwierig, denn zumindest ein Bilder-Zyklus wäre nun angemessen, auf diese Erweiterung der Kampfzone. Zum anderen ist sie aber auch gar nicht notwendig und daher wohl nicht zu erwarten. Denn funktioniert hat es. Das Buch Feindbild werden dürfte sich zu einer Zeit, in der Autorenlesungen, Diskussionen etc. als Einnahmequelle wegen eines ziemlich unbegreiflichen Viruses und seiner nicht minder rätselhaften Strukturen der staatlichen Eindämmung ausfallen, zum Weihnachtsgeschäft passabel verkauft haben und verkaufen. Und die New York Times hatte im Oktober 2020 rechtzeitig eine passende Story zur Leipziger Dezemberausstellung eines zugänglich-unzugänglichen, eines kryptischen und aufrechten, und somit geradezu neo-nietzscheanischen Künstlers. Im übrigen: Kritiker und Künstler sind nicht von gleichem Gewicht, zumindest was Einkommen und Vermögen betrifft. Der Kritiker findet seine Wirkung in der Hauptsache eingeschränkt auf den nationalen, durch Sprache und Kultur begrenzten und definierten Markt und sich selber mit Einkünften in der Größenordnung eines Hochschullehrers, der er ja auch vorher war, doch ohne das Risiko dem Desinteresse von Verlegern, Lesern und Kunstwelt begegnen zu müssen. Und der Verteidiger von Ort und Kunstfreiheit und jedenfalls gefühlter Authentizität - dem ich im übrigen hier wahrscheinlich viel näher stehe als seinem Kritiker (nur damit kein falscher Eindruck entsteht) - verdankt seinen Erfolg der Globalisierung und der moralisch schwerelos agierenden Exportnation Deutschland, die ihn geschätzterweise zum Multimillionär in der Nähe zum Reichtum gemacht hat. Und noch einmal anders betrachtet: Neo Rauch ist einer unser künstlerischten und dabei produktivsten Maler, der dazu sehr, sehr viel Glück gehabt hat, so wie es jedem originellen Geist zu wünschen ist. Wolfgang Ullrich hat es klug vermocht, seine Nische zu finden und etwas zu sein, wonach nun wirklich kein Mensch in Deutschland gefragt hat: ein ziemlich freier und relativ unabhängiger Kunst- und Kulturkritiker. Weiss das der Künstler zu schätzen? Verfügt er über soviel Souveränität, dass er ihm das Scheiss-Bild quasi zum Geschenk gemacht hat? Wir wissen es nicht. Wäre es eine Komödie, so wäre noch eine Ebene erotischer Verwicklungen hinzuzudenken, andere Geschichte. Die kennen wir nun gar nicht und können sie uns auch beinah nicht vorstellen und das ist vielleicht gut so, wenn auch ein bisschen schade. Aber bitte, lassen Sie uns anstossen, über diese schöne Weihnachtsgeschichte, dieses Märchen. 2021 wird ein gutes Jahr!James McNeill Whistler gewann gegen John Ruskin, aber ihm wurde nur die minimalste symbolische Wiedergutmachung zugesprochen. Er hatte die Prozesskosten zu tragen und war ruiniert. Seine Bilder waren sofort unverkäuflich und er hielt sich im Exil in Italien mühsam mit Skizzen und Zeichnungen über Wasser. 1890 fasste er seine Sicht in dem Buch The Gentle Art of Making Enemies zusammen, es war ziemlich bekannt zu seiner Zeit und verkauft sich wohl noch heute. Beruflich und emotional litten beide, Ruskin und Whistler, für den Rest ihres Lebens unter den Folgen des Prozesses.